Die Energiewende ist für Ostfriesland ein Segen. Ihr verdankt das einstige Armenhaus den Aufschwung zur Boom-Region. Symbol dafür ist der Windmühlen-Hersteller Enercon in Aurich, der innerhalb weniger Jahre von einer Garagenfirma zum größten Windkraft-Unternehmen Deutschlands wuchs. Gründer und Eigentümer Aloys Wobben ist der reichste Mensch in Niedersachsen.
Windkraft ist gefragt in aller Welt, auch Deutschland hat noch Bedarf, denn erst ein Viertel des Stroms stammt aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Wind, Sonne und etwas Biomasse. Aber auch bei den „Erneuerbaren“ wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Die Energiewende bereitet Probleme, weil sie höchst kompliziert ist und es um sehr viel Geld geht.
Die neue Bundesregierung bastelt an neuen Stromgesetzen. Wirtschaft und Umweltverbände markieren grell ihre Interessen. So droht Enercon damit, seine Investitionen auf Eis zu legen, wenn Energieminister Gabriel nicht in seinem Sinne spurt. Und Umweltverbände verlangen auf Großdemos, sofort aus Atom und Kohle auszusteigen. Sie hätten auf ihre Plakate auch schreiben können: Raus mit der Industrie aus Deutschland. Das wäre ehrlich gewesen.
Pustet man den Propagandaschaum zur Seite, wird eines deutlich: Die Energiewende ist technisch machbar. Aber sie muss bezahlbar bleiben. Maßstab ist das energiepolitische Dreieck mit drei gleich langen Seiten. Sie heißen „Ökonomisch, sozial und ökologisch“.
Wir müssen uns hüten, alte und neue Industrien gegeneinander auszuspielen. Enercon bietet das beste Beispiel: Wind braucht Stahl. Ohne Stahl kein Windrad, ohne Windrad keine Energiewende. Nebenbei gesagt: Stahl ist noch nicht alles – Windräder brauchen außerdem Kupfer, Gusseisen, Beton, Glasfaser, Epoxidharz, Lacke und, nicht zu vergessen, Metalle der Seltenen Erden.
Noch eines ist sicher: Selbst wenn wir rechnerisch den Strombedarf zu 100 Prozent mit Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Energien abdecken könnten – so lange wir keine Großspeichertechnik haben, braucht Wind auch Gas und Kohle.
Das wirkliche Kostenrisiko ist der Börsenstrompreis. Denn die Höhe der Umlage für Erneuerbare Energien, die wir Stromkunden und Betriebe zahlen, ergibt sich aus der Differenz zwischen dem gesetzlichen Garantiepreis für erneuerbare Energien und dem jeweiligen Börsenpreis. Mit einer irren Konsequenz: Ist viel Wind oder Sonne im Netz, sinkt der Preis nicht etwa, sondern steigt für den Normalkunden. Je mehr Ökostrom, desto höher die Umlage. Diesen Teufelskreis muss die Regierung brechen. Sonst fährt die Energiewende vor die Wand.
Es wäre sehr bedauerlich, auch für Ostfriesland, wenn aus dem Segen ein Fluch würde. Und es wäre eine Blamage. Denn der Umstieg auf ein völlig neues Energiesystem ist das größte Innovationsvorhaben in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Es wird uns noch lange beschäftigen.