Helfer sind die Guten. Aber mitunter brauchen sie selbst Hilfe – gegen Beleidigungen, Tritte, Schläge, Bisse, Spucke oder gar Waffen. Übertrieben? Keineswegs. Ob Polizisten, Sanitäter, Feuerwehrleute oder Mitarbeiter in Jobcentern, Sozial- oder Ordnungsämtern – fast alle waren schon feindseligen Attacken ausgesetzt. Auch in Ostfriesland.
Noch in frischer Erinnerung: Auf der Rathausbrücke in Leer versammeln sich in der Neujahrsnacht traditionell viele Menschen, um dort den feuerwerkgetränkten Himmel besser zu sehen. Als ein Feuerwehrmann vorsichtig mit seinem gekennzeichneten Auto über die Brücke zu einem Einsatz fahren will, zertrümmert ein Mann aus der Menge kurzerhand die Windschutzscheibe. Keiner hält ihn anschließend fest.
Dieser Vorfall ist übel, aber noch relativ harmlos. Jedenfalls ist es kein Einzelfall, wie Polizei- und Rettungspraktiker bestätigen. „Gewalt gegen Rettungskräfte“ heißt eine Studie des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Uni Bochum, die sich über ein Jahr erstreckte. Daraus geht hervor, dass fast alle Rettungskräfte, genau 98 Prozent, verbale Gewalt erlebt haben: Sie wurden beschimpft, beleidigt oder beides. Von mindestens einem gewalttätigen Übergriff berichtete deutlich mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Befragten – wobei der Gewaltbegriff weit gefasst wurde, also auch Anspucken und Wegschubsen einschloss.
Dies aus der Summe herausgerechnet, bleibt dennoch ein erschreckendes Ergebnis: Fast jeder dritte Helfer (27 Prozent) sah sich strafrechtlich relevanten Delikten ausgesetzt. Dabei handelt es sich nicht immer um gezielte Übergriffe, sondern nicht selten um aggressives Abwehrverhalten von Patienten. Aber was übrigbleibt, reicht und ist ein gesellschaftliches Problem, das sich nicht auf soziale Brennpunkte beschränkt.
Polizei, Rotes Kreuz und Kommunen reagieren längst darauf. Mit Kursen und Trainingsprogrammen, wie man durchgeknallten Menschen begegnet. Auch „körperschonende Abwehrtechniken“ helfen den Helfern in der Not. Der Gesetzgeber hat ebenfalls schon reagiert und Rettungskräfte im Strafgesetzbuch der Polizei und anderen Vollstreckungsbeamten gleichgestellt, wenn es um Widerstand gegen sie geht.
Die Kreisverwaltung in Leer schützt sich seit einiger Zeit mit spezieller Türschließtechnik gegen Besucher, die ausrasten. Und im Zentrum für Arbeit in Leer arbeitet sogar Sicherheitspersonal. Alles eine Folge unliebsamer, sogar dramatischer Erfahrungen. Vorsicht und Vorbeugung lehren auch, dass in vielen Ämtern die Mitarbeiter nicht mehr allein mit Besuchern reden.
Patentrezepte gegen wachsende Gewaltbereitschaft kennt keiner. Bekannt ist jedoch der typische Täter, der Retter und Kommunalmitarbeiter angreift: Er ist männlich, zwischen 20 und 39 Jahre alt, längst nicht immer mit ausländischem Hintergrund und während der Tat angetrunken. Ein Zusammenhang mit Großveranstaltungen wie Fußball, Demos oder Volksfesten ist nicht erkennbar, sagt die Studie der Uni Bochum. Sie liefert damit wenigstens eine Diagnose, aber keine Therapie.