Ein paar Sätze vorweg, bevor wir uns ernsthaft mit „Pokémon Go“ beschäftigen: Wir halten die Smartphone-Monsterjagd, die seit Kurzem Millionen junge Menschen in ihren Bann zieht, inhaltlich für ziemlich bescheuert. Aber das ist nur ein persönlicher Maßstab.
Die verbreitete Technikfeindlichkeit teilen wir grundsätzlich nicht. Sie erinnert an den Beginn der Eisenbahn, als Fuhrleute protestierten, weil sie Konkurrenz fürchteten, und Ärzte sich wegen der „hohen Geschwindigkeit“ (30 km/h) um die Gesundheit der Mitfahrer sorgten. Uns steht der Blogger Christian Buggisch näher: „Alles, was vor unserer Geburt an Technik da ist, wird als gegeben hingenommen. Alles, was zwischen unserem 15. und 35. Lebensjahr auftaucht, ist ungemein spannend. Alles, was später kommt, ist des Teufels.“
Der Vollständigkeit halber: Pokémon-Spieler, die nebenbei Auto fahren und wie betrunken durch Schlangenlinien auffallen, sind nicht bei Trost. Eher wie Realsatire wirkt es jedoch, wenn, wie in Wiesmoor, ein Mann bei einem Kaufhaus „mehrere dunkel gekleidete Personen mit Taschenlampen“ beobachtet und die Polizei ruft. Er verwechselte die eingeschalteten Smartphone-Displays von Pokémon-Jägern mit Taschenlampen von Einbrechern.
Apropos leuchtende Displays: Elektronik-Händler freuen sich über den plötzlichen Verkaufserfolg von Groß-Akkus für Smartphones – weil das normale Akku während der Monsterjagd auf keinen Fall schlappmachen soll.
Die Jagd hat nicht nur einen geschäftlichen Nebeneffekt. Bisher heißt es gern, dass die Jugend vorm Computer verfettet. „Pokémon Go“ widerlegt dies, sogar im Namen: Wer jagen will, muss raus an die frische Luft, go, zum Teil kilometerweit.
Und jetzt der ernste Teil: Leute, die sich auskennen, bezeichnen den 6. Juli 2016 als historischen Tag für die digitale und mobile Technologie – als die Firma Nintendo das Spiel „Pokémon Go“ in die Welt entließ – mit Pokémons, die es seit den 90ern auf Papier, in Videos und im Kino gibt. Mit dieser kostenlosen App wird zum ersten Mal für jedermann deutlich, wie sich die wirkliche Welt und die virtuelle, also die nicht echte (Computer-)Welt vermischen.
Man spricht von einer Erweiterten Realität, Fremdwort „Augmented Reality“ (AR). Nichts anderes ist „Pokémon Go“: Die Spieler sehen in der von ihnen betrachteten wirklichen Welt – im Park, auf der Straße, in einem Lokal oder anderswo – über ihr Smartphone in Echtzeit Figuren – hier Pokémons, die sie jagen, fangen, sammeln und für Kämpfe trainieren.
Wir beobachten die Jäger überall, in Weener, Bunde, Jemgum, Leer oder New York. Dabei ist das Spiel erst gut zwei Wochen alt, kam zunächst in den USA und Australien auf den Markt. Dieses sagenhafte Tempo zeigt: Die Welt ist vernetzt. Die technische Neuerung spricht sich in rasantem Tempo herum, braucht vom anderen Ende der Welt eine knappe Woche, um im Rheiderland Fuß zu fassen.
„Pokémon-Go“ wird clevere Geschäftsleute veranlassen, mit diesem Prinzip Kunden in ihre Läden und Lokale zu locken. Der Erfolg wird auch den Druck auf Mobilfunk-Anbieter erhöhen, endlich überall für gute Datenverbindungen zu sorgen, weil die Jagd sonst oft hakt. Das Spiel zeigt, wie schlecht es mit dem schnellen Internet bei uns bestellt ist. Und das ist kein Spiel, sondern Ernst. Es geht um Arbeitsplätze.