Der Bürgermeister der kleinsten ostfriesischen Insel dachte groß – und fiel damit auf den Bauch. Berthold Tuitjer, parteiloser Verwaltungs-Chef auf Baltrum, hat im Sommer in ganz Deutschland für Schlagzeilen gesorgt. Seine Idee: Eine Seilbahn zwischen Neßmersiel und der Insel. Doch Seilbahn statt Fähre – das ging dem Gemeinderat zu weit. Er beerdigte den Plan jetzt ohne Aussprache.
Ein Ratsherr forderte den Bürgermeister auf, „keine weitere Zeit mehr für so etwas Nutzloses zu investieren“. Er weiß die meisten Insulaner hinter sich. Auch Touristen meldeten sich in Leserbriefen, auf der Insel-Homepage und in sozialen Netzwerken zu Wort, überwiegend ablehnend. So im Tenor einer älteren Berlinerin: Für sie sei die Überfahrt mit der Fähre „Entschleunigung pur“.
Gegen das Entschleunigungs-Gefühl einer Großstädterin lässt sich nichts sagen. Und wenn der Betreiber der Fähre heftige Bedenken gegen eine Seilbahn anmeldet, ist dies verständlich. Aber geschenkt.
Das schnelle Nein wirft jedoch eine grundsätzliche Frage auf: Wie groß darf ein Politiker denken, in diesem Fall ein Bürgermeister, ohne dass ihm gleich gesagt wird, er habe nicht alle Tassen im Schrank? Das fragt sich offensichtlich auch eine Lokaljournalistin von der Insel, denn sie hält die Seilbahn-Idee zumindest für „nachdenkenswert“.
Tatsächlich wäre eine Seilbahn übers Watt spektakulär – aber keine absolute Neuheit. In den Bergen gehören Seilbahnen zum Alltag. In Irland gondeln Menschen am Seil vom Festland zu einer Insel. In Städten gelten sie als Transportmittel der Zukunft, in Südamerika sind schon zahlreiche in Betrieb. Die Hamburger lehnten per Volksentscheid eine Seilbahn über die Elbe ab, doch in Hannover will man eine bauen. Kurz gesagt: Seilbahnen gelten als Transportmittel der Zukunft.
Sie sind schnell, umweltfreundlich und vergleichsweise billig. Das alles träfe auch für das Baltrumer Projekt zu. Ein österreichischer Seilbahnbauer hat ausgerechnet, dass fünf 68 Meter hohe Masten ins Watt gerammt werden müssten, um die 4,1 Kilometer zwischen Neßmersiel und Baltrum zu verdrahten. Fahrzeit: Zehn Minuten. Eine Gondel fasst 80 Personen. Preislich sieht es so aus: Eine Überfahrt mit der Fähre kostet 28 Euro, mit der Seilbahn nur drei Euro. 220.000 Passagiere pro Jahr würden die Betriebskosten decken. Betreiber müssten 20 Millionen Euro investieren.
Angetrieben würde die Seilbahn mit Windenergie – und teure Baggerkosten für die Fahrrinne entfielen. Der Eingriff ins Watt beim Seilbahnbau bliebe einmalig. Öl-, Gas- und Stromleitungen werden ja auch ins Watt gefräst, ohne dass die Natur zu sehr leidet.
Die Nationalpark-Verwaltung hält eine Seilbahn „mit den Naturschutzgesetzen auf keinen Fall vereinbar“, ohne dies näher zu begründen. Und ein Sprecher des Wattenrats Ostfriesland fragte: „Haben wir heute den 1.April?“. Soweit vorhersehbar.
Uns bleibt ein ungutes Gefühl, weil eine groß gedachte Idee nicht gründlich abgeklopft wird. Ablehnen kann man ja immer noch. Die Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann und Karl-Rudolf Korte treibt das Thema schon länger um. Sie stellen in einem neuen Buch fest, dass die „Herrschaft des Irrationalen“ zunehme. „Viele Menschen leben nur noch in ihren eigenen Meinungsblasen, andere Positionen zählen nicht mehr.“ Gut erkannt.